Oswalt Kolle – Sein Leben

Oswalt Kolle wurde am 2. Oktober 1928 in Kiel geboren und starb am 24. September 2010 in Amsterdam. Er war deutsch-niederländischer Journalist, Autor und Filmproduzent, der insbesondere im deutschsprachigen Raum durch seine Filme über die sexuelle Aufklärung bekannt wurde.


Oswalt Kolle als „Aufklärer der Nation“

Seit den 60er-Jahren ist Oswalt Kolle maßgeblich an der sexuellen Aufklärung der Deutschen beteiligt. In seinen Büchern und Filmen wirbt er für „eine neue Kultur der Zärtlichkeit“ und wird so recht bald zum Aufklärer der Nation.

Dieser Weg ist ihm dabei jedoch nicht vorbestimmt. Gegen den Willen seines Vaters, dem renommierten Psychiaters Kurt Kolle, entscheidet sich Oswalt zunächst für eine landwirtschaftliche Ausbildung. – Er will Landwirt werden. Anfang der 50er-Jahre zieht es ihn jedoch in den Journalismus. Oswalt Kolle wird zunächst Klatsch-Redakteur bei der neugegründeten „BILD„-Zeitung und wechselt anschließend als stellvertretender Chefredakteur zur „Star-Revue„, einer Film-Illustrierten der Nachkriegszeit, die von 1955 bis 1960 zum Spiegel-Verlag gehört.

Sexualität in den 1960er Jahren

Sex wird noch in den 60er Jahren wie eine ansteckende Krankheit behandelt. Bücher darüber gibt es nur unterm Ladentischen. Wirklich problemlos sind nur die Aufklärungsschriften der katholischen Kirche zu bekommen. In denen besteht Liebe jedoch nur in der Ehe zwischen Mann und Frau und Sex ist dem Ziel der Fortpflanzung vorbehalten.

Andersdenkende und -liebende kommen schnell an die Grenzen kleinbürgerlicher Moral-Ideologie, die gestützt und geschützt wird von unzähligen Gesetzen, die zum Teil aus der Zeit der Nationalsozialisten stammen.

Da ist etwa das Verbot, Werbung für empfängnisverhütende Mittel zu machen.
Erdacht von Heinrich Himmler im Jahr 1943, wird es von der katholischen Adenauer Regierung quasi unverändert in den Gesetzeskanon der jungen Bundesrepublik übernommen.

Kondome dürfen nur an Ehepaare abgegeben wurde.

Der Kuppelei-Paragrafen, beschuldigt Eltern der Förderung der Unzucht, wenn sie Jugendliche unter 21 mit einem anders geschlechtlichen Menschen in einem Zimmer schlafen lassen.
Diesen rechtlichen Unsinn spürt Oswalt Kolle auch am eigenen Körper: Als er mit seiner Frau Marlies auf Hochzeitsreise (1953) ihre Trauscheine nicht mitführen, wird ihnen vom Portier eines Hotels in Offenburg ein gemeinsames Zimmer verwehrt. Stattdessen werden im ersten und vierten Stock auf getrennte Zimmer verteilt. Denn eine Förderung der Unzucht wird mit Gefängnis bestraft.

Mit Gefängnisstrafe belegt sind auch Ehebruch und Homosexualität.
Vor allem der Homosexuellen-Paragraf (§175 StGB) wird scharf angewendet. Während es zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft rund 70.000 Verfahren gegen Homosexuelle gibt, so sind es auch in der Anfangszeit der Bundesrepublik und unter der Kanzlerschaft Konrad Adenauers, zwischen 1945 und 1969, ebenfalls fast 70.000 Verfahren gegen Schwule.

Eigene Liebe und Beziehungen

Oswalt Kolle beschreibt einmal selbst, seine erste sexuelle Beziehung im Alter von 14 mit einem Jungen gehabt zu haben, die zweite dann ein Jahr später mit einem Mädchen.

Als 21-Jähriger lernt er 1949 die damals 19 Jahre alte Marlies Duisber. Sie ist seine große Liebe. Die folgenden vier Jahre der Beziehung sind jedoch geprägt von Trennungen und jeweils anderen Partnern. Die Erkenntnis nicht ohne einander leben zu können, führt dann schließlich doch zur Heirat der beiden im Jahr 1953.

Um aber nicht der deutschen Kleinbürgerlichkeit zu erliegen, entwickeln sie das Konzept der offenen Ehe: Unter dem Versprechen nie auseinander zu gehen, sind andere Partner erlaubt. Wenn aber sich einer emotional zu weit entfernt, holt der andere ihn wieder zurück.
Oswalt Kolle hat in der Folge verschiedene Affären, unter anderem mit Romy Schneider. Gleichgeschlechtliche Beziehungen führt er z. B. mit Horst Buchholz oder Otto Eduard Hasse. Oswalt Kolle lebt offen bisexuell.

Marlies Kolle stirbt im Jahr 2000 an Brustkrebs, nach über 50-jähriger Gemeinschaft. Oswalt Kolle ist da 72 und beschreibt den Verlust seiner Frau einmal so:

„Jetzt kommt nichts mehr. Das war es.“

Oswalt Kolle nach eigener Erinnerung, undatiert

In Gegenwart der drei gemeinsamen Kinder spricht Marlies Kolle in ihrer letzten Stunde eindringlich auf Oswalt Kolle ein: „Bleib nicht allein, das kannst du nicht. Such dir eine neue Frau, nicht zu alt, nicht zu jung – und heiraten musst du auch nicht wieder.“ (Zitiert nach Erinnerungen Oswalt Kolles.)

Zwei Jahre nach dem Verlust seiner Ehefrau Marlies, findet Oswalt Kolle tatsächlich eine neue Liebe: Bis zu seinem eigenen Tode im Jahr 2010 ist er mit der Niederländerin Jose del Ferro liiert.

Schreiben über Sexualität

1948 übersetzt Oswalt Kolle den ersten Kinsey-Report „Sexualität des Mannes“ in Teilen für seinen Vater, den renommierten Psychiater Kurt Kolle.

Zwischen 1938-1958 hatte der Forscher Alfred Kinsey zehntausende Interviews geführt um so die Vorlieben und sexuellen Veranlagungen der Menschen wissenschaftlich zu erfassen. Seine Reporte räumten mit dem Bild der „normalen Heterosexualität“ in der Missionarsstellung auf.

Beim Übersetzen verspürt Oswalt Kolle den sogenannten „Kinsey-Effekt„: Er bemerkt, mit seiner Bisexualität und mit seinen sexuellen Phantasien nicht allein zu sein.
Dieser „Kinsey-Effekt“ wird später auch als „Kolle-Effekt“ bekannt und steht für die Vorstellung, dass sich Menschen durch das Studieren der Texte Oswalt Kolles von ihrer verklemmten Sexualität und überholten sexuellen Normen befreien.

Oswalt Kolle wuchs, genauso wie auch seine spätere Frau, in einem außerordentlich liberalen Elternhaus auf. Die Erziehung Oswalts und seiner Geschwister war geprägt von der psychiatrischen Praxis des Vaters und der Schule der Sexologie der 1920er Jahre.
Oswalt wusste schon früh sehr viel über Homosexualität, auch beeinflusst durch die Homosexualität seines Onkels, dem Maler Helmut Kolle. Von der damals geltenden Norm abweichende Sexualvorstellungen sind für ihn normal.

Trotz dieser Erziehung fiel es Oswalt Kolle anfänglich schwer, über das Thema Sexualität zu schreiben. Das erste Mal versucht er es 1957 für die Berliner Zeitung BZ. In einer fiktiven Serie über ein junges Paar diskutiert Oswalt Kolle den Sex vor der Ehe. In den 1950er Jahren ein Tabuthema in Deutschland. Wenn die Serie und das beschriebene Paar rein fiktiv war, so war sie für Oswalt Kolle enorm wichtig. Das erste Mal traute er sich hier, dieses heiße gesellschaftliche Eisen anzufassen. In der Öffentlichkeit erregte die Serie in der BZ aber noch kein großes Aufsehen.

Alle Liebe dieser Welt

Der Drang, das Thema Sex und Aufklärung weiter zu verfolgen, verstärkt sich jedoch noch. Ein Auslöser hierfür ist eine Weltreise, die Kolle 1958 für die Quick unternimmt.

Unter dem Motto „Alle Liebe dieser Welt“ will er über die Liebe und über Paare in anderen Ländern berichten. Weltweit befragt Oswalt Kolle hierzu Ärzte und Menschen nach ihren Moralvorstellungen und ihrem Sexleben. Dies bestärkt ihn in der Wahrnehmung, dass die Sexualmoral in Deutschland verklemmt und unnatürlich ist und dringend einer öffentlichkeitswirksamen Aufklärung bedarf.

Erste Erfolge & „Aufklärer der Nation“

Dass Oswalt Kolle zum „Aufklärer der Nation“ wird, liegt vor allem an der Aufklärungsserie „Dein Kind, das unbekannte Wesen“, die ab 1960 in der Illustrierten „Quick“ erscheint und 1969 auch zu Kolles erstem erfolgreichem Buch wurde.

Anstoß zur Entwicklung dieser Serie gibt ein Gespräch mit der schwangeren Frau Kolles damaligen Chefs, dem Chefredakteur bei der Zeitschrift Quick. Diese beschwert sich über die mangelhafte Qualität der vorhandenen Literatur über Schwangerschaft und Kindesentwicklung.

Kolle ist zu diesem Zeitpunkt schon für seine offene Darstellungsweise bekannt und wird daher eingeladen, für die Quick eine Serie über die Entwicklung von Kindern zu schreiben.
In Dein Kind, das unbekannte Wesen schreibt Kolle offen, unverblümt und sachlich. Er setzt sich intensiv mit der kindlichen Sexualität auseinander. Referenziert auf neueste Forschungsergebnisse wonach auch Kinder schon in den ersten Lebensjahren sexuell empfindsam sind. Er nennt die Dinge beim Namen und benennt die Geschlechtsorgane der Kinder normal: Scheide oder Vagina, Glied oder Penis.

Der Chefredakteur der Quick ist begeistert, die damals regierende CDU nicht. Kolle erinnert sich, von Konrad Adenauers (CDU) langjährigem Familienminister Franz-Josef Wuermeling (ebenfalls CDU) einen Brief mit der sinngemäßen Aussage „Wenn solche schweinischen Sachen noch einmal in der Quick erscheinen, wird die Zeitschrift verboten.“ erhalten zu haben.

Dem Erfolg des Formats schadet das nicht. Im Gegenteil: Aus der Serie entsteht 1964 Kolles erstes Buch „Dein Kind, das unbekannte Wesen“ und wird zum großen Erfolg. 1970 wird das Buch dann auch filmisch umgesetzt.